Vortrag und Führung Palais im Großen Garten
Was hat das Palais, was uns heute fehlt?
Das Forum für Baukultur (http://www.forum-fuer-baukultur.de/) führte uns Anfang Mai in die Geschichte des Palais im Großen Garten ein. Dr. Storz, selbst Architekt, Bauforscher und Bauhistoriker, zeigte eindrücklich die Zusammenhänge zwischen der architektonischen Formensprache des barocken Gebäudes und dem damaligen Zeitgeist.
Einleitend wies er mahnend auf die heute zunehmende Usurpation unserer Gesellschaft hin, die eine Gesellschaft ohne Maß zu werden droht. Die bisherigen Ergebnisse dieser Entwicklung zeigte er am heutigen Stadtbild Dresdens auf und hob die große Bedeutung von frühzeitiger Förderung der Geisteswissenschaften, die bereits in der Schulbildung ansetzen sollte, hervor. Entgegen der PISA-Studien (internationale Schulleistungsstudie der OECD) vertritt das Forum für Baukultur die Meinung, dass durch eben diese Disziplinen funktionierende Gesellschaftsstrukturen maßgeblich geschaffen werden und Identitätsstiftung erfolgt. Der heute auch in der Architektur gelebte Freiheitsbegriff erzeugt hingegen Disharmonie und keinen Sinn mehr für Gemeinschaft. Dies zeigt sich nicht nur vielfach am Dresdner Stadtbild. Dr. Storz sieht darin den „Ausdruck einer Freiheit, die keine Rücksicht mehr nimmt auf die Allgemeinheit“.
Weiterführend griff Dr. Storz, der mit Frau Reichle im Forum für Baukultur eng zusammenarbeitet, noch ein zweites (vermeintlich) aktuelles gesellschaftspolitisches Thema auf – die Migration. Mit vielfältigen Belegen wurde aufgezeigt, dass es schon immer Migration gegeben hat und die eigentliche Herausforderung auch damals darin bestand, sich in eine gemeinsame Werteordnung einzufinden. Zeuge dessen sind die zahlreichen Architekturzitate am Palais im Großen Garten, deren Ursprünge u. a. am Titusbogen, an den Villen Suburbana Italiens, an der Villa Farnesina in Rom, im Schloss Vaux-le-Vicomte und am Tempel des Hadrian zu finden sind.
Der gut besuchte Vortrag hatte keineswegs nur den ermahnenden Zeigefinger als Unterton, sondern schärfte auch den Blick auf die feinsinnigen Spielereien, die der Manierismus an die Fassade zeichnete. Was hat es mit Andeutungen an den Türgewänden auf sich, wenn Steine optisch zusammenfallen zu drohen? Oder was für ein Rätsel verbirgt sich hinter der durchdachten Anordnung der Kaiserportraits am Mezzaningeschoss? Welche symbolische Kraft liegt hinter der Verwendung von Pflanzenornamenten, z. B. an Geländer und First?
Das Bild zeigt ein Geländer am Palais im Großen Garten, welches von stilisierten Artischocken geschmückt ist. Die ursprüngliche Symbolik stammt vermutlich vom Pinienzapfen, der bereits in der Antike für Reichtum und Fruchtbarkeit stand. Von der christlichen Kunst übernommen, wurde der Zapfen als Schutzsymbol vor bösen Geistern gesehen und deswegen meist an exponierten Stellen, wie Toren, Dächern und Geländern, angebracht. Als der Barock in Europa Einzug hielt, wuchs die Gier nach dem Extravaganten. Die in Mode gekommene Artischocke brachte die gesuchte Exotik mit und nahm teilweise die Stelle des Pinienzapfens ein.1 Die damals seltene Frucht stand nur den höchsten Kreisen zur Verfügung und wurde z.B. von Goethe regelrecht verehrt, der sie „fürtreffliche Stachelköpfchen“, „Liebchen“ und „musterhafte Distelköpfe“ nannte. Nicht grundlos wird die Artischocke seither als Symbol des Wohlergehens und des Wohllebens gesehen und fand so auch ihren Platz am Palais im Großen Garten.2
U.a. an diesem Beispiel wird die starke Verbindung von Architektur und Natur deutlich. Wie verwoben das Palais und die Parkanlage sind soll ein weiterführender Vortrag des Vereins Wissensvermittlung in der Denkmalpflege, voraussichtlich im Sommer 2020, erörtern.
Der WvD verbleibt mit bestem Dank an die zahlreichen Teilnehmer und den höchst interessanten Vortrag vom Forum für Baukultur.
(Stand: Lisa Hallex, Mai 2019.)